Ablage: VORV/INT/KULT/2025/06
AblB: Lyrische Einzelbeobachtungen im Kontext kultureller Kalenderzeichen
ElZGre: 003_17_06
Kürzel: HB-S
Vorvermerk zur Textlage von A. Storm, „Koinzidenzen“
Die lyrische Notation vom 1. Juni 2025 dokumentiert drei gleichzeitige Bezugspunkte: einen kalendarischen Gedenkanlass (Kindertag), eine private biografische Markierung (Altersjubiläum der Mutter) sowie eine saisonale Beobachtung (Balkonmoment im Frühsommer). Der Text verzichtet auf narrative Kohärenz und strukturiert sich durch additive Aneinanderreihung.
Die Verknüpfung erfolgt nicht durch Kausalität, sondern durch temporale Gleichzeitigkeit. Diese Gleichzeitigkeit wirkt weder kontrastiv noch symbolisch überformt, sondern bleibt in der Sphäre der beiläufigen Koexistenz. Die poetische Spannung entsteht aus der faktischen Unverbundenheit der Ereignisse bei gleichzeitiger Sprecherbindung an alle drei Ebenen.
Die Formulierung „Auch ich – ein Kind, das noch ist, / während die Mutter alt wird“ enthält eine Prädikatswahl, die syntaktisch korrekt, aber semantisch mehrdeutig bleibt. Eine Lesart als bewusste Ambivalenz (zwischen „ist“ und „isst“) kann als strukturelles Stilmittel verstanden werden, ohne dass dies explizit thematisiert wird.
Der Balkon als wiederkehrendes Raumelement fungiert als Interface zwischen Innen und Außen, Zeit und Zustand. Er wird nicht als Ort des Überblicks, sondern als Fläche des Übergangs markiert – ohne Zuschreibung, ohne Handlung.
Die sprachliche Anlage verweigert affektive Kulmination. Der Text bewegt sich in einer Zone kontrollierter Selbstbeobachtung, die eine stilistische Nähe zu früheren Verfahren des literarischen Registrierens aufweist. Kalendarische Ordnung und gelebte Erfahrung treten hier nicht in Widerspruch, sondern in Parallele.
HB-S, Juni 2025